50% der GmbH-Geschäftsführer kennen die Business Judgement Rule nicht!


In der heutigen schnelllebigen Geschäftswelt, wo Entscheidungen oft unter großem Druck und innerhalb kurzer Zeitfenster getroffen werden müssen, bietet die Business Judgement Rule einen “sicheren Hafen”, der es ermöglicht, innovative und wachstumsorientierte Strategien zu verfolgen, ohne die latente Gefahr einer unangemessenen Haftung fürchten zu müssen.
Rechtsanwalt Jörg Streichert
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

Für GmbH-Geschäftsführer stellt die Business Judgement Rule gemäß § 93 Abs. 1 Satz 2 des Aktiengesetzes (AktG) einen wichtigen Schutz dar, um sich gegen potenzielle Haftungsansprüche der Gesellschaft zu verteidigen. Diese Regel ist besonders relevant, wenn ein Geschäftsführer in einem Rechtsstreit seine Haftungsfreistellung beweisen muss. Sie erlaubt es ihm, zu zeigen, dass er die gebotene Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführers beachtet hat.

Die Business Judgement Rule besagt, dass keine Haftung für eine unternehmerische Entscheidung besteht, wenn der Geschäftsführer nachweislich auf einer angemessenen Informationsgrundlage ohne Eigeninteresse und zum Wohle der Gesellschaft gehandelt hat.

Ist dies der Fall, so unterbleibt eine weitergehende Prüfung des Sachverhalts durch das Gericht hinsichtlich eventueller schuldhafter Pflichtverletzungen.

Der Beweis der Einhaltung dieser Regel ist daher in der Verteidigung gegen Haftungsvorwürfe entscheidend und kann dazu beitragen, Haftungsrisiken effektiv zu eliminieren. 

Geschäftsführer sollten sich diese Regel kennen und sicherstellen, dass ihre Entscheidungen stets diesen Grundsätzen entsprechen, um sich vor rechtlichen Konsequenzen zu schützen.

Praxisbeispiel

Ein Geschäftsführer eines mittelständischen Automobilzulieferers steht vor der Entscheidung, eine große Investition in eine neue Fertigungsanlage zu tätigen. Trotz Bedenken bezüglich der Vollständigkeit der Marktanalyse und der Rentabilitätsprognosen, führt der Geschäftsführer die Investition durch. Im Nachhinein stellt sich heraus, dass die Entscheidung aufgrund von überoptimistischen Annahmen getroffen wurde, und der Geschäftsführer wird für die mangelhafte Prüfung der Unterlagen in Haftung genommen.

In diesem Fall fehlte es am guten Glauben (siehe unten, Abschnitt VII.), da der Geschäftsführer bereits vor der Investition Zweifel an der Angemessenheit der Informationen hatte!

Erfahren Sie in den folgenden Abschnitten, wie wichtig eine Business Judgement Rule als Grundlage für eine sichere und verantwortungsbewusste Entscheidungsfindung ist und was diese Regel für die Haftungsfreistellung in der Unternehmensführung bedeutet.

I. Sorgfaltspflichten und Haftungsrisiken im Unternehmensmanagement

Geschäftsführer sind gemäß § 43 Abs. 1 GmbHG dazu verpflichtet, die Angelegenheiten der Gesellschaft mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes zu führen. Dies beinhaltet eine verantwortungsvolle und vorsichtige Unternehmensleitung. Bei Verletzung dieser Pflichten droht Geschäftsführern eine solidarische Haftung für entstandene Schäden, mit einer Verjährungsfrist von fünf Jahren.

Ein Geschäftsführer, der nicht nach den Grundsätzen eines ordentlichen Geschäftsmannes handelt und der Gesellschaft dadurch Schaden zufügt, muss mit ernsthaften rechtlichen Konsequenzen rechnen. Ein Schadenersatzanspruch gegen einen Geschäftsführer setzt folgende kumulative Bedingungen voraus:

  • Verletzung der Sorgfaltspflicht
  • Eintreten eines Schadens
  • Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden

Der Geschäftsführer ist dann gefordert, den Gegenbeweis zu erbringen, dass keine Pflichtverletzung vorliegt. Die Business Judgement Rule, gesetzlich im Aktienrecht verankert (§ 93 Abs. 1 Satz 1 AktG) unterstützt Vorstandsmitglieder dabei, diesen Beweis zu führen. Die Rechtsprechung wendet diese Grundsätze analog auf die Geschäftsführer einer GmbH an. 

Die in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG normierte Business Judgement Rule schafft eine Ausnahme von der Haftung, sofern der Geschäftsführer annehmen durfte, dass seine unternehmerische Entscheidung zum Wohle der Gesellschaft ohne Eigeninteresse und auf der Basis angemessener Informationen getroffen wurde. 

§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG wurde eingefügt durch das „Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Aktienrechts“ („UMAG“) vom 22.09.2005. Damit wird „Business Judgement Rule“, die vorher in Deutschland durch Rechtsprechung des BGH anerkannt wurde (vgl. BGH II ZR 175/95 vom 21.04.1997, „ARAG/Garmenbeck“), gesetzlich normiert.

II. Wesentliche Aspekte der Business Judgement Rule

Unternehmerisches Handeln ist naturgemäß mit Risiken behaftet. Ein absolutes Verbot risikoreicher Entscheidungen würde die Grundlage unternehmerischen Agierens untergraben. Gleichzeitig dürfen sich Geschäftsführer im Falle eines eingetretenen Schadens nicht einfach auf unvorhersehbare Risiken berufen, um sich der Verantwortung zu entziehen. 

Hier setzt die Business Judgement Rule an, die Geschäftsführern von Unternehmen ein haftungsfreies Ermessen bei unternehmerischen Entscheidungen zusichert, sofern diese Entscheidungen unter Beachtung der in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG definierten Kriterien getroffen werden.

Diese Regelung erlaubt es, unternehmerische Risiken bewusst und rechtmäßig einzugehen, ohne eine Haftung nach sich zu ziehen, wenn die Entscheidungen den festgelegten Voraussetzungen entsprechen. Für Geschäftsführer sind solche Entscheidungen typisch. 

§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG konkretisiert, dass keine Pflichtverletzung vorliegt, wenn trotz möglicherweise entstandenem Schaden bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Diese Bedingungen,  die eine Freistellung von der Haftung ermöglichen, umfassen folgende Tatbestandsmerkmale

  • Unternehmerische Entscheidung
  • Wohl der Gesellschaft
  • Keine Sonderinteressen
  • Angemessene Information
  • Guter Glaube

Diese Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein, um das Handeln des Geschäftsführers als rechtmäßig zu bewerten. Der betroffene Geschäftsführer trägt die Beweislast, dass diese Bedingungen kumulativ wurden.

Sofern die Business Judgement Rule greift, erfolgt keine weitere gerichtliche Überprüfung der Entscheidung auf eine Sorgfaltspflichtverletzung. 

Sollte jedoch eines der Kriterien nicht erfüllt sein, wird das Gericht die Entscheidung auf Schadensverursachung hin überprüfen und dabei die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführers als Maßstab anlegen.

III. Merkmale unternehmerischer Entscheidungen

Das Tatbestandsmerkmal “unternehmerische Entscheidung” innerhalb der Business Judgement Rule zeichnet sich vor allem durch Zukunftsorientierung und die Einflussnahme unvorhersehbarer externer Faktoren aus. 

Unternehmerische Entscheidungen sind definitionsgemäß nicht solche Handlungen, zu denen der Geschäftsführer durch gesetzliche oder satzungsmäßige Vorgaben verpflichtet ist.

Charakteristisch für eine unternehmerische Entscheidung ist die Wahlfreiheit des Geschäftsführers zwischen verschiedenen, praktisch durchführbaren und rechtlich zulässigen Optionen. Ein Geschäftsführer handelt also nicht unternehmerisch, wenn er durch gesetzliche Vorgaben oder Satzungsbestimmungen zu einer spezifischen Handlungsweise gezwungen wird. Vielmehr ist die Entscheidungsfreiheit entscheidend, die es dem Geschäftsführer ermöglicht, basierend auf Informationen und im besten Interesse der Gesellschaft zu handeln.

Praxisbeispiel

Ein Geschäftsführer eines Technologieunternehmens steht vor der Entscheidung, in eine neue, innovative Software-Entwicklung zu investieren. Die Investition birgt erhebliche finanzielle Risiken, bietet jedoch die Chance auf Marktführerschaft in einem neuen Technologie-Sektor. Nach umfangreicher Marktanalyse und Konsultationen mit Experten entscheidet sich der Geschäftsführer für die Investition. 

Diese Entscheidung qualifiziert sich als unternehmerisch im Sinne der Business Judgement Rule, da mehrere Handlungsalternativen vorhanden waren und die Entscheidung frei von externen Zwängen und im vermuteten besten Interesse der Gesellschaft getroffen wurde.

IV. Das Gebot des Handelns zum Wohl der Gesellschaft

Ein zentraler Aspekt der Business Judgement Rule ist die Pflicht des Geschäftsführers, stets im besten Interesse der Gesellschaft zu handeln. Dies impliziert, dass jede Entscheidung des Geschäftsführers auf die Förderung der langfristigen Stabilität und Profitabilität des Unternehmens ausgerichtet sein sollte. Entscheidungen müssen auf vernünftigen Annahmen beruhen, die das nachhaltige Wachstum und den Fortbestand des Unternehmens unterstützen.

Beim Treffen unternehmerischer Entscheidungen darf der Geschäftsführer keine unverhältnismäßig großen Risiken eingehen, die die Existenz der Gesellschaft gefährden könnten. Das bedeutet nicht, dass Risiken vollständig vermieden werden sollen, da unternehmerisches Handeln naturgemäß Risiken beinhaltet. Es muss jedoch eine ausgewogene Risikoabwägung stattfinden, bei der die potenziellen Vorteile die möglichen Nachteile überwiegen.

Praxisbeispiel

In einem Pharmaunternehmen steht der Geschäftsführer vor der Entscheidung, erhebliche Ressourcen in die Entwicklung eines neuen Medikaments zu investieren. Das Medikament verspricht, eine führende Rolle bei der Behandlung einer weitverbreiteten chronischen Krankheit zu spielen. Trotz erheblicher Anfangsinvestitionen und des Risikos eines Fehlschlags bei den klinischen Tests, entscheidet der Geschäftsführer, basierend auf umfassenden wissenschaftlichen Voruntersuchungen und einer positiven Marktanalyse, zugunsten der Investition. 

Diese Entscheidung wird getroffen, weil sie das Potential hat, langfristig erhebliche Erträge zu generieren und das Wohl der Gesellschaft nachhaltig zu fördern, indem sie den Gesundheitszustand der Bevölkerung verbessert und zugleich Wert für die Aktionäre schafft.

V. Vermeidung von Sonderinteressen nach der Business Judgement Rule

Ein grundlegendes Kriterium der Business Judgement Rule ist die strikte Vermeidung von Sonderinteressen und sachfremden Einflüssen bei unternehmerischen Entscheidungen. Ein Interessenkonflikt liegt vor, wenn persönliche Interessen des Geschäftsführers in Widerspruch zu den Interessen der Gesellschaft stehen. Solche Konflikte können die Objektivität und Unparteilichkeit der Entscheidungsträger beeinträchtigen und dazu führen, dass Entscheidungen nicht mehr ausschließlich im Sinne des Gesellschaftswohls getroffen werden.

Für die Integrität und das Vertrauen in die Unternehmensführung ist es daher essentiell, dass alle Entscheidungen frei von persönlichen Vorteilen und unabhängig von externen Einflüssen getroffen werden. Geschäftsführer müssen aktive Maßnahmen ergreifen, um potenzielle Interessenkonflikte zu erkennen, offenzulegen und angemessen zu handhaben.

Praxisbeispiel

Bei einem Technologieunternehmen steht die Entscheidung an, einen neuen Lieferanten für Komponenten auszuwählen. Einer der Geschäftsführer ist eng mit einem der potenziellen Lieferanten verwandt. Um die Integrität des Auswahlprozesses zu wahren, legt der betreffende Geschäftsführer diesen Interessenkonflikt offen und zieht sich aus dem Entscheidungsprozess zurück. Diese Handlungsweise stellt sicher, dass die Entscheidung ohne sachfremde Einflüsse getroffen wird und dem Wohl der Gesellschaft dient.

VI. Bewertung der Angemessenheit von Informationen für Unternehmensentscheidungen

Die Bestimmung dessen, was als „angemessen“ gilt, ist kontextabhängig und muss für jeden Einzelfall beurteilt werden. Relevante Faktoren hierfür sind:

  • Umfang und die Tragweite des geplanten Geschäfts
  • Strategische Bedeutung der Entscheidung für das Unternehmen
  • Herausforderungen in Bezug auf den fachlichen und zeitlichen Aufwand für die Entscheidungsvorbereitung durch den Geschäftsführer.

Die Beschaffung angemessener Informationen ist eine zentrale Pflicht des Geschäftsführers, und es besteht in diesem Bereich kein Ermessensspielraum. Geschäftsführer sind verpflichtet, alle verfügbaren Informationsquellen umfassend zu nutzen. Dabei spielt das Internet eine zunehmend wichtige Rolle, da es zahlreiche Informationsmöglichkeiten bietet, die auch im Rahmen von Haftungsprozessen relevante Nachweise liefern können.

Es ist ebenfalls entscheidend, dass die zur Verfügung gestellten Informationen eine „ex ante“-Bewertung durch die Geschäftsführer zulassen. 

Die Ex-ante-Bewertung bildet die Wanderkarte, die den Weg zum Gipfel weist, indem sie vergangene Erfahrungen reflektiert, Inventur macht und versucht, potenzielle künftige Risiken zu managen, die während des Programms auftreten könnten.“

Das bedeutet, dass die Informationen zum Zeitpunkt der Entscheidung ausreichen müssen, um später vor Gericht als nachvollziehbar zu gelten, auch wenn nachträglich weitere Erkenntnisse vorliegen.

Praxisbeispiel

Bei einem mittelständischen Automobilzulieferer steht die Entscheidung an, in eine neue Produktionslinie für innovative Antriebstechnologien zu investieren. Der Geschäftsführer zieht umfangreiche Marktstudien heran, beauftragt eine unabhängige technische Due-Diligence-Prüfung und erhält eine „Fairness Opinion“ von einer externen Unternehmensberatung bezüglich der Investitionskosten und der zu erwartenden Renditen. 

Diese gründliche Vorbereitung und Einholung von Expertenmeinungen stellt sicher, dass die Entscheidung fundiert getroffen wird und das Wohl der GmbH langfristig unterstützt, indem sie das Unternehmen in einem wettbewerbsintensiven Markt zukunftsfähig positioniert.

VII. “Guter Glaube” als wesentliches Element der Haftungsfreistellung

Das Prinzip des “guten Glaubens” spielt eine wichtige Rolle bei der Anwendung der Business Judgement Rule, indem es als “sicherer Hafen” für Haftungsfreistellungen dient. Gemäß dieser Regel ist der “gute Glaube” nicht nur eine Frage der Überzeugung des Geschäftsführers in die Richtigkeit seiner Entscheidung, sondern auch eine Frage der sorgfältigen und gewissenhaften Prüfung vor der Entscheidungsfindung.

Guter Glaube” wird dabei von den subjektiven Einschätzungen des jeweiligen Handelnden geprägt, jedoch stets in Verbindung mit den anderen Anforderungen der Business Judgement Rule bewertet. Fehlt es an einer adäquaten Information oder ist der Geschäftsführer sich bewusst, dass die zur Verfügung gestellten Informationen unzureichend sind, kann nicht von einem Handeln im “guten Glauben” ausgegangen werden.

VIII. Fazit: Sichere Entscheidungsfindung im Rahmen der gesetzlichen Freiräume

Die Business Judgement Rule bietet eine wesentliche Schutzfunktion für Geschäftsführer von GmbHs, indem sie klare Richtlinien für unternehmerische Entscheidungen unter Risiko festlegt. Diese Regelung unterstreicht die Bedeutung der sorgfältigen und verantwortungsbewussten Unternehmensführung, die nicht nur die unmittelbaren Interessen der Gesellschaft berücksichtigt, sondern auch langfristige Perspektiven einbezieht.

Durch die Einhaltung der Business Judgement Rule können Geschäftsführer ihre Entscheidungen mit einer größeren Rechtssicherheit treffen. Die Voraussetzung hierfür ist, dass sie ihre Handlungen auf einer soliden Informationsbasis und ohne persönliche Interessenkonflikte treffen und dabei stets das Wohl der Gesellschaft im Auge behalten. Die Fünf-Säulen-Struktur dieser Regel – unternehmerische Entscheidung, Wohl der Gesellschaft, keine Sonderinteressen, angemessene Information und guter Glaube – dient dabei als Leitfaden, um Haftungsrisiken effektiv zu vermeiden.

Aus Ihrer individuellen Praxis können sich komplexe Fragestellungen ergeben. Für weitergehende Lösungen biete ich Ihnen meine Unterstützung an. Nutzen Sie ergänzend meine online buchbare Rechtsberatung, wenn Sie konkrete Problemstellungen lösen wollen.

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