Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist ein Einziehungsbeschluss entsprechend § 241 Nr. 3 AktG wegen eines Verstoßes gegen § 30 Abs. 1 Satz 1, § 34 Abs. 3 GmbHG nichtig, wenn bereits bei Beschlussfassung feststeht, dass das Einziehungsentgelt nicht aus freiem, die Stammkapitalziffer nicht beeinträchtigenden Vermögen der Gesellschaft gezahlt werden kann (BGH, II ZR 109/11, BGH II ZR 342/14 sowie BGH II ZR 65/16).
In Anlehnung an das OLG Brandenburg 4 U 214/21, BeckRS 2022, 18027 dürfen Auszahlungen an ausgeschiedene Gesellschafter nicht zur Entstehung oder Vertiefung einer Unterbilanz führen (BGH, II ZR 171/19 und BGH II ZR 391/18).
I. Berechnung Abfindungsanspruch des Klägers (Einziehungsentgelt)
Sofern in der Satzung der Gesellschaft (GmbH) keine ausdrückliche Regelung über die Ermittlung des Abfindungsguthabens, insbesondere die heranzuziehende Bewertungsmethode enthalten ist gilt, dass sich die Abfindung eines Gesellschafters aus dem Unternehmenswert ableitet.
Allerdings: Es gibt nicht den einen wahren und richtigen Unternehmenswert. Der Unternehmenswert ist von zahlreichen individuellen Faktoren abhängig. Was zu dem Sprichwort führt: „Es gibt kleine Lügen, große Lügen und Unternehmensbewertungen“.
Die höchstgerichtliche Rechtsprechung erkennt an, dass wirksame Verkehrswerte in aller Regel aus ertragswertbezogenen Bewertungsverfahren entwickelt werden können (BGH II ZB 25/14).
Für die Ermittlung des Unternehmenswert können insbesondere folgende Verfahren herangezogen werden:
• Substanzwertverfahren
• Ertragswertverfahren
• Stuttgarter Verfahren
• Discounted-Cash-Flow-Methode
• Multiplikatormethode (Finance Multiples)
Siehe hierzu meine umfassenden Ausführungen unter: Unternehmensbewertung
II. Ermittlung freies Vermögen der Gesellschaft
Das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen ist durch eine bilanzmäßige Gegenüberstellung der Aktiva und Passiva zu ermitteln, wobei die Aktiva nach § 30 Abs. 1 GmbHG insoweit gebunden sind, als sie zur Deckung der echten Passiva, also des Fremdkapitals einschließlich der Rücklagen und Stammkapitals erforderlich sind.
Auszahlungsfähig ist dementsprechend derjenige Teil des Reinvermögens, der den Betrag des Stammkapitals übersteigt und dem bilanzmäßig auf der Passivseite einer frei verfügbaren Rücklagen-, Gewinn- oder Gewinnvortragsposition entspricht.
Verboten sind Auszahlungen, wenn eine Unterbilanz besteht oder durch die Abfindungszahlung herbeigeführt würde, d.h. wenn das Aktivvermögen das Fremdkapital zuzüglich Rückstellungen und das Stammkapital nicht mehr deckt.
Da sich diese Notwendigkeit der Zahlbarkeit der Abfindung aus freiem, die Stammkapitalziffer nicht beeinträchtigenden Vermögen aus dem in §§ 30 Abs. 1, 34 Abs. 3 GmbHG statuierten Grundsatz der Kapitalerhaltung unter dem Gesichtspunkt des Gläubigerschutzes ergibt und insoweit eine (rein) bilanzielle Betrachtungsweise gilt, dürfen Auszahlungen an (ausgeschiedene) Gesellschafter nicht zur Entstehung oder Vertiefung einer Unterbilanz führen.
Ob eine solche vorliegt, bestimmt sich nicht nach den Verkehrswerten, sondern nach den Buchwerten einer stichtagsbezogenen Handelsbilanz, sodass stille Reserven keine Berücksichtigung finden (BGH II ZR 116/21).
Eine mögliche Unterbilanz ist durch einen aus dem HGB-Jahresabschluss abgeleiteten Vergleich zwischen dem Nettovermögen der Gesellschaft und ihrem statuarischen Stammkapital ausschließlich Rücklagen und Nachschusskapital zu ermitteln.
Das Nettovermögen errechnet sich als die Summe aller in einer Bilanz nach § 42, §§ 246 ff, 266 ff HGB angesetzten und (auf den Zeitpunkt der Auszahlung fortgeschrieben) bewerteten Aktiva abzüglich sämtlicher echten Passiva.
Unwägbarkeiten bei der Bewertung stiller Rücklagen dürfen nicht dazu führen, dass an die Gesellschafter Gesellschaftsvermögen ausgekehrt wird, welches zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlich ist (Lutter/Hummelhoff 20. Aufl. 2020, § 30 GmbHG, Rn. 11).
Mit dem Wirksamwerden der Einziehung entsteht für den betroffenen Gesellschafter grundsätzlich sofort ein Anspruch gegen die Gesellschaft auf Zahlung einer angemessenen Abfindung.
Sofern ein Abfindungsanspruch im Gesellschaftsvertrag gestundet wird, so dass er erst zu einem späteren Zeitpunkt fällig wird, kommt es für die Frage einer Unterkapitalisierung nicht auf den Zeitpunkt des Einziehungsbeschlusses, sondern auf eine wirtschaftliche Prognose für den Zeitpunkt der fälligen Einziehungsvergütung an (BGH II ZR 342/14).
Eine relevante Verletzung der Kapitalerhaltungsvorschriften liegt vor, wenn weder die letzte Jahresbilanz disponible Rücklagen in Höhe der voraussichtlichen Abfindung enthält, noch der zwischenzeitliche Geschäftsverlauf Aussicht auf entsprechende, für die Abfindung heranzuziehende Überschüsse begründet.
III. Ausfallhaftung Gesellschafter
Allein die vorsorgliche Aufnahme der Ausfallhaftung der Mitgesellschafter in den Einziehungsbeschluss für den Fall, dass ein Verstoß gegen § 30 GmbHG droht, ändert an der Nichtigkeit des Beschlusses nichts.
Der BGH (BGH II ZR 65/16) hat eindeutig klargestellt, dass die neu geschaffene Rechtsfigur der „Ausfallhaftung“ nichtigen Beschlüssen nicht zur Wirksamkeit verhelfen kann. Ein nichtiger Beschluss bleibt nichtig. Da die Abfindung bzw. Einziehungsentgelt eben allein von der Gesellschaft geschuldet ist und nicht von den Gesellschaftern im Wege der Ausfallhaftung, bleibt der Einziehungsbeschluss auch bei Übernahme einer Ausfallhaftung bei Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften unverändert nichtig.
IV. Beweislast im Prozess
Bei einem Streit darüber, ob die Abfindung aus ungebundenem Vermögen geleistet werden kann, trägt die Gesellschaft die Beweislast. Die Gesellschaft hat sämtliche Voraussetzungen für eine wirksame Einziehung dartun.
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